„Es ist, was es ist, sagt die Liebe.“ Mit diesem Zitat von Erich Fried (das ich fälschlicherweise erst Rilke zuordnete) begann für mich heute eine Reise in die Vergangenheit. Das Gedicht beschreibt die Liebe als eine unlogische, unbezwingbare Kraft, die sich über Vernunft, Angst und Erfahrung hinwegsetzt. Ein schöner Gedanke. Doch er führte mich unweigerlich zu der Frage: Was ist, wenn man genau diese Kraft nicht annehmen kann? Eine Spurensuche in meiner eigenen Biografie.
Die Kälte der Pflicht: Das mütterliche Erbe
Wenn ich über meine Unfähigkeit nachdenke, Liebe anzunehmen, lande ich unweigerlich in meiner Kindheit – und in der meiner Eltern. Meine Mutter, geboren 1945, wuchs in einer Zeit auf, in der Funktionalität über Emotion stand. Ihre eigene Mutter leitete allein einen Hof, während der Vater in Kriegsgefangenschaft war. Für Zuneigung blieb kein Raum. Diese emotionale Nüchternheit gab sie an uns weiter. Ich bekam alles, was man zum Leben braucht: Essen, Kleidung, ein Dach über dem Kopf. Aber keine Wärme. Statt einer Umarmung gab es einen Händedruck. Als ich im Krankenhaus lag, kam sie nicht. Als meine erste Beziehung zerbrach, hörte ich nur: „Andere Mütter haben auch schöne Töchter.“ Der Schmerz darüber wurde erst Jahre später sichtbar, als ich den Kontakt abbrach und mit dem Vorwurf konfrontiert wurde: „Ich hab doch alles für dich getan.“ Materiell ja, emotional nein.
Der Schatten des Vaters: Dominanz und gebrochenes Vertrauen
Noch prägender war die Beziehung zu meinem Vater. Als einziger Sohn, aufgewachsen mit einem Vater, der seine Machtlosigkeit im Haus durch Gewalt kompensierte, wurde er selbst zu einem dominanten, oft grausamen Mann. Die Schläge, die ich bekam, zielten nicht nur auf den Körper, sondern auch auf die Seele. „Du machst mir den Ole kaputt“, sagte meine Mutter einmal. Er hat es geschafft. Er hat mir das Weinen aberzogen. Meine Erfolge im Beruf wurden ignoriert, stattdessen war ich der „Versager“. Entschuldigungen für seine Alkoholexzesse gab es nie. Der endgültige Bruch kam, als er versuchte, meine damalige Partnerin zu missbrauchen – eine Tat, die sein Mantra „Familie über alles“ als leere Phrase entlarvte. Während ich den Kontakt sofort abbrach, blieb meine Mutter bei ihm.
Das Echo der Vergangenheit: Muster in meinen Beziehungen
Diese Erfahrungen haben tiefe Spuren hinterlassen, die sich wie ein roter Faden durch mein Liebesleben ziehen. Alle drei Frauen, mit denen ich eine ernsthafte Beziehung führte, spiegelten die Dominanz meines Vaters wider. Alle drei haben mich betrogen und belogen – ein schmerzhaftes Echo des Verhaltens meines Vaters gegenüber meiner Mutter.
Wie kann man vertrauen, wenn die ersten und wichtigsten Bezugspersonen einem zeigen, dass Liebe entweder eine Pflicht oder ein Mittel zur Kontrolle ist? Wie kann man Lob annehmen, wenn man ein Leben lang gelernt hat, dass man nicht genügt?
Und so schließt sich der Kreis zu Erich Fried. Die Liebe mag sagen: „Es ist, was es ist.“ Sie ist bedingungslos und irrational. Doch wenn man von klein auf gelernt hat, dass Zuneigung an Bedingungen geknüpft ist und Vertrauen missbraucht wird, dann antworten Vernunft, Angst und Erfahrung umso lauter. Und man selbst steht dazwischen und fragt sich, ob man jemals lernen kann, einfach nur auf die Liebe zu hören.
Was es ist Von Erich Fried
So frage ich mich ob das Gedicht nicht für mich geschrieben wurde…
Was es ist
Erich Fried
Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Und ein für mich perfekt passender Song zu meiner Person: