Es gibt Sätze am Ende einer Beziehung, die hängen bleiben. Meine Ex aus Augsburg – der Grund, warum ich überhaupt in die Stadt kam – meinte am Ende allen Ernstes zu mir, ich sei ein Narzisst.
Ich brach in schallendes Gelächter aus. Nicht, weil ich es arrogant fand, sondern weil es so absurd war. Es war der Moment, in dem ich realisierte, dass sie mich in dem ganzen halben Jahr offensichtlich überhaupt nicht gekannt oder verstanden hatte. Sie hatte so viele offensichtliche Dinge übersehen.
Um das zu verstehen, muss man wissen, wo wir uns kennengelernt haben: auf einer Reha. Sie war dort, weil sie sich nach 30 Jahren Ehe endlich von ihrem Mann getrennt hatte. Ich war dort, weil ich emotional komplett am Boden war. Mein Selbstbewusstsein lag irgendwo weit unter dem Meeresspiegel.
In dieser Reha habe ich mich Stück für Stück zurückgekämpft. Ich wurde endlich wieder derjenige, dem ich morgens in die Augen sehen konnte. Derjenige, der den Kopf ein Stück nach oben nahm, anstatt ihn permanent zu senken. Und ja, ich hatte auch wieder ein gesundes Selbstbewusstsein entwickelt. Vor allem aber achtete ich wieder auf mich, mit einer gesunden Portion Selbstliebe – etwas, das in den fast 15 Jahren davor einfach nicht stattgefunden hatte.
Der schmale Grat zwischen Selbstfürsorge und Narzissmus
Und genau hier liegt der Knackpunkt, den so viele verwechseln: Was unterscheidet einen Narzissten von einem Menschen mit gesunder Selbstfürsorge?
Mein Bruder hat es mal sehr deutlich (und provokant) auf den Punkt gebracht: „Arrogant sieht das nur von unten aus.“
Ein Satz, der viel über die Wahrnehmung aussagt. Aber Wahrnehmung ist nicht Diagnose. Echten, pathologischen Narzissmus habe ich an anderer Stelle erlebt. Meine Ex aus Berlin hatte es schwarz auf weiß in ihrem Anamnesebogen stehen: „stark ausgeprägte narzisstische Persönlichkeit.“ Und ja, genau das hätte ich ihr auch zu jedem Zeitpunkt attestiert. Der Unterschied war fundamental.
Wer also mit dem Begriff „Narzisst“ um sich wirft, sollte wissen, was er eigentlich bedeutet.
Was macht einen Narzissten wirklich aus?
Narzissmus ist komplex. Er existiert auf einem Spektrum – von gesunden Zügen (wie Selbstbewusstsein) bis hin zur pathologischen Narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS).
Wenn wir im Alltag von einem „Narzissten“ sprechen, meinen wir meist Personen mit einem durchdringenden Muster von Selbstherrlichkeit, einem übermäßigen Bedürfnis nach Bewunderung und einem Mangel an Empathie.
Hier sind die zentralen Merkmale:
- Die drei Kernmerkmale (Die „Narzisstische Triade“)
Die Psychologie identifiziert oft drei Hauptsäulen, die das Fundament des pathologischen Narzissmus bilden:
- Grandiosität (Übersteigertes Selbstwertgefühl): Die Person hält sich für überlegen, einzigartig oder „besonders“. Sie übertreibt eigene Leistungen und erwartet, als überlegen anerkannt zu werden, oft ohne entsprechende Erfolge. Sie pflegt Fantasien von grenzenlosem Erfolg, Macht oder idealer Liebe.
- Exzessives Bedürfnis nach Bewunderung: Narzissten haben ein starkes Verlangen nach Aufmerksamkeit und Bestätigung. Ihr Selbstwertgefühl ist, obwohl nach außen grandios, innerlich oft sehr instabil und extrem abhängig von der Zufuhr durch andere.
- Mangel an Empathie: Dies ist eines der deutlichsten Merkmale. Narzissten sind unfähig oder unwillig, die Gefühle, Bedürfnisse und Perspektiven anderer Menschen zu erkennen oder sich in sie hineinzuversetzen. Gespräche drehen sich fast ausschließlich um sie selbst.
2. Weitere typische Verhaltensweisen
Basierend auf klinischen Kriterien zeigen sich diese Kernmerkmale oft so:
- Anspruchsdenken (Entitlement): Eine überzogene Erwartungshaltung, dass die eigenen Wünsche automatisch erfüllt werden müssen. Sie erwarten eine Sonderbehandlung.
- Ausbeuterisches Verhalten: Sie nutzen andere Menschen bewusst oder unbewusst aus, um ihre eigenen Ziele zu erreichen, ohne Rücksicht auf die Auswirkungen.
- Arroganz und Überheblichkeit: Sie zeigen oft ein herablassendes Verhalten gegenüber Menschen, die sie als „unterlegen“ betrachten.
- Neid: Sie sind häufig neidisch auf andere oder glauben, andere seien neidisch auf sie.
- Extreme Kritikempfindlichkeit: Obwohl sie nach außen unantastbar wirken, reagieren sie auf Kritik (oder was sie dafür halten) extrem empfindlich – oft mit Wut, Aggression oder demonstrativer Kälte.
3. Der innere Konflikt: Grandiosität vs. Unsicherheit
Das vielleicht wichtigste Merkmal: Das grandiose, arrogante Auftreten dient oft als Abwehrmechanismus, um ein tief sitzendes, instabiles Selbstwertgefühl, Minderwertigkeitsgefühle und innere Leere zu kompensieren.
4. Die zwei Typen: Grandios vs. Vulnerabel (Verdeckt)
Die Forschung unterscheidet oft zwei Hauptformen:
- Der grandiose (offene) Narzisst: Das „klassische“ Bild: extrovertiert, dominant, arrogant und offen auf der Suche nach Bewunderung.
- Der vulnerable (verdeckte) Narzisst: Schwerer zu erkennen. Diese Personen wirken nach außen oft unsicher, ängstlich oder depressiv. Sie haben die gleichen grandiosen Fantasien, sind aber extrem überempfindlich gegenüber Kritik und neigen zur Opferrolle.
Mein Fazit
Wenn man sich diese Liste ansieht, wird eines klar: Nichts davon findet sich bei einem Menschen, der einfach nur gesunde Selbstfürsorge betreibt.
Wer nach einer Krise wieder lernt, auf sich zu achten, Grenzen zu setzen und „Nein“ zu sagen, ist nicht narzisstisch. Er ist überlebensfähig. Gesunde Selbstliebe ist nicht grandios, sie ist notwendig. Sie ist nicht ausbeuterisch, sie ist grenzsetzend.
Und sie basiert nicht auf einem Mangel an Empathie, sondern auf der Erkenntnis, dass man auch mit sich selbst Empathie haben muss, um nicht unterzugehen.
Ich kann aber aus bitterer Erfahrung eines sagen: Stellt ihr fest, dass euer Partner ein echter Narzisst ist und diese Merkmale erfüllt, dann beendet die Beziehung. Ihr werdet unendlich leiden und das ohne auch nur wirklich etwas Positives aus dieser Beziehung zu ziehen.