Wenn die Angst das Leben bestimmt: Die verschiedenen Gesichter der Angststörung

Einleitung

Herzklopfen vor einer wichtigen Präsentation? Ein mulmiges Gefühl, wenn man nachts allein durch eine dunkle Straße geht? Das kennen wir alle. Angst ist eine lebenswichtige, natürliche Reaktion unseres Körpers. Sie ist unser internes Alarmsystem, das uns vor Gefahren warnt und uns auf „Kampf oder Flucht“ vorbereitet.

Aber was passiert, wenn dieses Alarmsystem überempfindlich wird? Wenn der Alarm losgeht, obwohl keine reale Gefahr besteht? Was, wenn die Angst so überwältigend wird, dass sie den Alltag, die Arbeit und die Beziehungen lähmt?

Dann sprechen wir von einer Angststörung.

Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen weltweit, doch sie werden oft missverstanden. Viele denken, es ginge „nur“ darum, sich ein paar Sorgen zu machen. Aber eine Angststörung ist weitaus mehr. Und: Es gibt nicht die eine Angststörung. Sie tritt in vielen verschiedenen Formen auf.

In diesem Artikel schauen wir uns die häufigsten Arten von Angststörungen an, um besser zu verstehen, was sie sind und wie sie sich unterscheiden.

  1. Die Generalisierte Angststörung (GAS)
    Stellen Sie sich vor, Ihr „Sorgen-Muskel“ ist permanent angespannt und lässt sich nicht mehr entspannen. Menschen mit einer Generalisierten Angststörung (GAS) leben in einem Zustand ständiger, diffuser Anspannung und Besorgnis.

Wovor haben sie Angst? Es gibt keinen spezifischen Auslöser. Die Sorgen sind „generalisierbar“ – sie springen von einem Thema zum nächsten. Typische Sorgen drehen sich um die Gesundheit der Familie, die finanzielle Sicherheit, Probleme bei der Arbeit oder alltägliche Katastrophen (z. B. „Was ist, wenn ich einen Unfall habe?“).

Wie fühlt es sich an? Betroffene können ihre Sorgen nicht kontrollieren oder „abstellen“, selbst wenn sie wissen, dass sie übertrieben sind. Körperlich äußert sich die GAS oft durch ständige Ruhelosigkeit, leichte Ermüdbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Muskelverspannungen (besonders im Nacken- und Schulterbereich) und Schlafstörungen. Es ist wie ein ständiges Grundrauschen der Nervosität.

  1. Die Panikstörung
    Während die GAS ein Dauerzustand ist, ist die Panikstörung durch plötzlich auftretende, intensive „Anfälle“ von Angst gekennzeichnet: die Panikattacken.

Was passiert bei einer Panikattacke? Eine Panikattacke überrollt die Betroffenen oft „aus heiterem Himmel“. Innerhalb weniger Minuten schießt die Angst auf ein extremes Maximum. Die körperlichen Symptome sind so heftig, dass viele denken, sie erleiden einen Herzinfarkt, werden verrückt oder sterben:

Herzrasen oder Herzstolpern

Atemnot und Erstickungsgefühle

Schwindel und Benommenheit

Zittern oder Beben

Kribbeln oder Taubheitsgefühle

Gefühl der „Derealisation“ (die Umwelt wirkt unwirklich)

Die „Angst vor der Angst“ Die eigentliche Störung ist oft nicht nur die Attacke selbst, sondern die ständige Furcht vor der nächsten Attacke. Diese „Erwartungsangst“ führt dazu, dass Betroffene Situationen meiden, in denen eine Attacke auftreten könnte.

  1. Die Agoraphobie (oft mit Panikstörung)
    Die Agoraphobie wird oft fälschlicherweise als „Platzangst“ (also Angst vor engen Räumen) übersetzt. Das ist nicht ganz richtig. Die Agoraphobie ist die Angst vor Orten oder Situationen, aus denen eine Flucht schwierig oder peinlich sein könnte, oder wo im Falle einer Panikattacke keine Hilfe verfügbar wäre.

Wovor haben Betroffene Angst? Typische „Angst-Orte“ sind:

Öffentliche Verkehrsmittel (Busse, Bahnen, Flugzeuge)

Große, offene Plätze oder Menschenmengen (Konzerte, Supermärkte)

Schlangen (z. B. an der Kasse)

Kinos, Aufzüge oder Brücken

Weit von zu Hause entfernt oder allein unterwegs zu sein

Die Folge: Betroffene meiden diese Orte. Im Extremfall kann die Agoraphobie dazu führen, dass Menschen das eigene Haus nicht mehr verlassen können. Sie tritt sehr häufig gemeinsam mit einer Panikstörung auf.

  1. Die Soziale Angststörung (Sozialphobie)
    Die Soziale Angststörung ist weit mehr als nur Schüchternheit. Sie ist die intensive, lähmende Angst davor, in sozialen Situationen negativ bewertet, beurteilt oder abgelehnt zu werden.

Was ist der Kern der Angst? Die zentrale Sorge ist, sich zu blamieren, etwas „Falsches“ zu sagen oder zu tun, oder dass andere die eigene Angst bemerken (z. B. durch Erröten, Zittern oder Stottern).

Wie äußert sie sich? Betroffene fürchten Situationen wie:

Vor anderen zu sprechen (Vorträge, aber auch einfache Wortmeldungen)

Im Mittelpunkt zu stehen (z. B. auf einer Party)

Neue Leute kennenzulernen

Vor anderen zu essen oder zu trinken

Telefonieren vor Zeugen

Die Konsequenz: Soziale Situationen werden entweder vermieden oder nur unter extremer innerer Anspannung durchgestanden. Dies kann zu starker Einsamkeit und beruflichen Nachteilen führen.

  1. Spezifische Phobien
    Dies ist die „klassische“ Phobie: eine intensive, irrationale und anhaltende Angst vor einem ganz spezifischen Objekt oder einer spezifischen Situation.

Die Angst ist im Verhältnis zur tatsächlichen Gefahr völlig übersteigert. Allein der Gedanke an den Auslöser kann Panik auslösen.

Häufige Beispiele:

Tierphobien: Spinnen (Arachnophobie), Hunde, Schlangen, Insekten

Umwelt-Typ: Höhen (Akrophobie), Wasser, Gewitter

Situativer Typ: Fliegen (Aviophobie), enge Räume (Klaustrophobie), Aufzüge

Blut-Spritzen-Verletzungs-Typ: Anblick von Blut, Nadeln (Trypanophobie), medizinische Eingriffe (Hier kommt es oft zu Ohnmacht statt nur zu Herzrasen)

Und was ist mit Zwangsstörungen (OCD) und PTBS?
Vielleicht fragen Sie sich, wo die Zwangsstörung oder die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) in dieser Liste sind.

In der modernen Diagnostik (z. B. im DSM-5) werden diese beiden Störungen nicht mehr direkt unter den „Angststörungen“ geführt, sondern haben eigene Kategorien erhalten („Zwangsstörungen und verwandte Störungen“ und „Trauma- und stressbedingte Störungen“).

Dennoch ist Angst ein absolutes Kernsymptom bei beiden:

Bei der Zwangsstörung (OCD) lindern die Zwangshandlungen (z. B. Waschen, Kontrollieren) die massive Angst oder den Ekel, die durch die Zwangsgedanken ausgelöst werden.

Bei der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) erleben Betroffene nach einem Trauma extreme Angst, Übererregung und Flashbacks, wenn sie an das Trauma erinnert werden.

Fazit: Hilfe ist möglich (und wichtig!)
Das Alarmsystem unseres Körpers ist komplex, und manchmal gerät es aus dem Gleichgewicht. Die verschiedenen Angststörungen zeigen, wie unterschiedlich sich dieses Ungleichgewicht äußern kann – von ständiger Sorge bis hin zu plötzlicher Panik.

Das Wichtigste, was Sie wissen müssen: Angststörungen sind keine Charakterschwäche oder persönliches Versagen. Sie sind ernstzunehmende, aber sehr gut behandelbare Erkrankungen.

Niemand muss lernen, „einfach damit zu leben“. Moderne Psychotherapie (insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie) hat exzellente Erfolgsquoten bei der Behandlung von Ängsten. Manchmal können auch Medikamente unterstützend helfen.

Wenn Sie sich oder einen geliebten Menschen in diesen Beschreibungen wiedererkennen und die Angst Ihren Alltag einschränkt, wagen Sie den ersten Schritt:

Sprechen Sie mit Ihrem Hausarzt. Er oder sie ist die erste Anlaufstelle und kann eine erste Diagnose stellen und Sie weiterverweisen.

Suchen Sie einen Psychotherapeuten auf.

In akuten Krisen ist die Telefonseelsorge (0800 / 111 0 111) rund um die Uhr da.

Die Angst mag laut sein, aber sie muss nicht das letzte Wort haben.

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